Reisetagebuch

  • Team-Afarid auf dem Weg nach Berlin!

Montag, 3. Juni Berlin

Ein sehr hektischer Tag. Wilde Fahrten mit dem Doktor-Afarid-Mobil durch Berlin, zahlreiche Treffen mit möglichen Sponsoren und Multiplikatoren, eine Terminzusage eines Abgeordneten im Bundestag. Computer und Handy, die nicht funktionieren wollen, ein irres Internetcafe in einem Donutsschnellrestaurant. Vor allem aber drei interessante Begegnungen mit Flüchtlingen oder ehemaligen Asylbewerberheimen, von denen ich eine hier eine ausführlicher schildern möchte.

Ich traf Zica, ein sehr sportlicher, blonder Slowene in einer Technoszenekneipe, die es so wohl nur in Berlin geben kann. Ihn und seine Eltern hatte es im Zuge der Jugoslawienkriege, Anfang der 90ger Jahre, in ein bayerisches Asylbewerberheim verschlagen- er war damals etwa 6 Jahre alt. Viele Erlebnisse in dieser Zeit hat er noch heute bildlich vor Augen, manche haben sich regelrecht in sein Gehirn gebrannt. Das Asylbewerberheim war ein hässliches Gebäude, er und andere Kinder bewarfen die Außenmauern oft mit Steinen. Regeln gab es dort keine. Er lebte mit seinen Eltern in einem 10 qm großen Zimmer. Von den Gängen, Zimmern- vom ganzen Gebäude selbst, ging eine bedrohliche Stimmung aus. Man hatte dort vorzugsweise miteinander verfeindete Ethnien, also Bosnier, Kroaten, Serben, Slowenen und Albaner (auf die sowieso niemand gut zu sprechen war) aufgenommen. Außer den balkanischen Flüchtlingen gab es noch bulgarische und russische Heimbewohner. An vieles in dieser Zeit erinnert sich Zica nur noch verschwommen, in dem Heim gab es ein ständiges Kommen- und Gehen, der Überlebenskampf stand im Vordergrund. Einmal pro Woche gab es ein Carepaket von Caritas oder einer anderen wohltätigen Organisation. Einige Heimbewohner behalfen sich mit etwas Schwarzhandel, Maisklau und kleinen Raubzügen in Kaufhäusern. Zica ging beispielsweise mit seiner und anderen Familien regelmäßig auf Streifzüge durch die bayerischen Maisfelder, um sich Mais zu besorgen. Zu jener Zeit gab es zum Glück nur wenige Überwachungskameras in den deutschen Kaufhäusern, denn ein paar Zimmernachbarn erbeuteten gelegentlich Kleider aus Kaufhäusern und „verscherbelten” diese dann für ein paar Mark im Heim oder anderswo. Unvergesslich bleibt für Ziga die Szene, als einmal ein Heimbewohner 5 Jacken (er hatte diese im Kaufhaus geschickt unter die eigene Jacke gesteckt) bei CA und erbeutete. Er warf seine Beute vor Zicas Augen auf einen Tisch im Heim, hob dabei demonstrativ seinen Zeigefinger und sagte: „Wenn der [der Zeigefinger] noch länger wäre, dann würde ich 15 Jacken holen.”

Traumatisch bleibt dagegen die Erinnerung an eine Geburtstagfeier im Gedächtnis haften, die ein bulgarisches Paar im Heim einmal veranstaltete. Im Laufe der Feier wurde reichlich Alkohol ausgeschenkt, die Männer waren ziemlich betrunken, der Raum stickig von Tabakqualm. Die Gastgeberin verteilte das Essen und musste dabei irgendetwas falsch gemacht haben, denn ihr Mann geriet plötzlich in Rage und sprang unvermittelt auf den Tisch. Er zertrat dann jeden einzeln Teller- Zicas Mutter packte ihren Sohn sofort an der der Hand und flüchtete aus dem Raum. Die Männer blieben in dem Raum, stritten und tranken weiter.

Zica blieb mit seiner Familie etwa ein Jahr im Asylbewerberheim, bis die Familie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhielt, da ihr Status als Kriegsflüchtlinge von den deutschen Behörden anerkannt wurde. Er wurde danach eingeschult und verbrachte eine glückliche Kindheit in einem bayerischen Dorf. Heute hat er viele gute Freunde aus den Ländern der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Er und seine Familie hatten großes Glück, da zahlreiche Kriegsflüchtlinge nach Beendigung des Krieges wieder zurück geschickt werden. Viele müssen dann, obwohl sie schon mehrere Jahre in Deutschland leben und sich bereits mehr Deutschland zugehörig fühlen, als ihrem Heimatland, wieder die Rückreise in ein von Unruhen zerrüttetes Land antreten.

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